Unternehmenskultur im Bewerbungsverfahren

Unternehmen offenbaren ihre Unternehmenskultur bereits im Bewerbungsverfahren im Umgang mit ihren Bewerberinnen und Bewerbern. Unternehmen können dabei viel gewinnen, aber auch viel verlieren. Das wurde mir am vergangenen Sonntag nochmals besonders deutlich.

Erfahrungsbericht eines Bewerbers

In einem Café mit Außengastronomie im Grünen, komme ich mit einem Studenten ins Gespräch. Er studiert Wirtschaftswissenschaften und wird sein Studium noch in diesem Jahr abschließen. Er erzählt von seinen Studien im europäischen Ausland und in Asien. Von seinen Praktika in verschiedenen Unternehmen, Branchen und Ländern. Und er berichtet von einem denkwürdigen Erlebnis bei einem seiner letzten Bewerbungsgespräche. Er ist dort auf eine Unternehmenskultur im Bewerbungsverfahren getroffen, die zu denken gibt.

S: „Ich wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen und erhielt mit der Einladung gleich eine lange Liste mit Fachliteratur, die ich zur Vorbereitung durcharbeiten sollte. Da war ich schon etwas verwundert. Schließlich hatte ich dem Unternehmen alle wichtigen Zeugnisse und Beurteilungen geschickt. Eigentlich dachte ich, sie wollten vor allem erfahren, wer ich als Mensch bin und ob ich dort hineinpasse. Als ich angekommen war, wartete ich am Empfang bis ich abgeholt wurde. Beim Vorstellungsgespräch sollte ich mich zunächst vorstellen und das Flipchart nutzen. Gesagt, getan. Doch befremdlich fand ich, als die zwei Mitarbeiter der Firma, die dort als Berater arbeiten, sich über meine Flipchart-Darstellung lustig machten und meinten, dass das wohl nichts sei.“
„Was ging in diesem Moment in Ihnen vor?“
S: „Im ersten Moment war ich geschockt, wusste nicht so Recht, wie ich darauf reagieren sollte. Schließlich habe ich diese Äußerung übergangen.“

„Und wie ging es dann weiter?“

S: „Nach einer kurzen Firmenpräsentation wurden mir Fragen gestellt. Meine Antworten wurden notiert. Nur darauf eingegangen wurde nicht. Wenn ich versucht habe, ein Gespräch in Gang zu bringen, in dem ich zum Bespiel über Erfahrungen in Asien berichtete, wurde nicht wirklich zugehört. Einer der beiden Berater lenkte das Thema dann direkt auf sich, um über seine eigenen Erfahrungen zu erzählen. Nachfragen kamen keine.“

„Was dachten Sie?“

S: „Die haben kein Interesse an dir. Das habe ich gedacht.“

„Und dann?“

S: „Ich wurde verabschiedet und man würde sich wieder bei mir melden. Und in der Tat, zwei Wochen später erhielt ich die Einladung für ein zweites Gespräch.“

„Na, das hat Sie überrascht, oder?“

S: „Ja, damit hatte ich nicht gerechnet.“

„Wie ist das zweite Gespräch gelaufen?“

S: „Gar nicht, weil ich abgesagt habe.“

„Aha?“

S: „Nun, was ich dort erlebt habe, passt so gar nicht zur Hochglanzbroschüre des Unternehmens, wo von Wertschätzung, Individualität, Offenheit, Transparenz, Respekt, Fairness usw. die Rede ist. Ich habe mir dort auch die Leute angeschaut, wie sie wirken und miteinander umgehen. Das ist kein Unternehmen, in dem ich arbeiten möchte.“

„Und nun, wie geht es weiter?“

S: „In der Zwischenzeit habe ich bei einer anderen Firma an einem Auswahlverfahren teilgenommen. Das war eine gute Erfahrung für mich. Es war ein informativer, offener Austausch. Ich habe viel über das Unternehmen erfahren und ich habe den Eindruck, dass ich dort gut hineinpassen würde. Dass dort auch das gelebt wird, was gesagt wird. Nächste Woche ist die zweite Runde.“

Dieses Bespiel zeigt sehr anschaulich, wie ein Unternehmen mit seiner offenbarten Unternehmenskultur im Bewerbungsverfahren seine Chancen verspielt. Wie stimmig ist Ihre formulierte Unternehmenskultur mit der gelebten Praxis? Eine Studie der Online-Stellenbörse StepStone belegt, dass 60 Prozent der Bewerberinnen und Bewerber bereits bei ihrer Jobsuche überlegen, ob die Unternehmenskultur zu ihrer Persönlichkeit passt. Im Übrigen ist die Unternehmenskultur nicht nur für die Gewinnung neuer Mitarbeitenden, sondern auch für die Mitarbeiterbindung von Bedeutung, wie die Studie zeigt.